Der Aufbruch der 70er und 80er – Bildungsarbeit als emanzipatorische Politik



II  Der Aufbruch der 70er und 80er – Bildungsarbeit als emanzipatorische Politik


1967 und 68 hatten in Westberlin die Studenten und Studentinnen rebelliert. Sie sahen sich als Teil einer weltweiten Revolte. Tatsächlich kam Ende der 60er einiges in Bewegung: In Paris gingen Studenten und Arbeiter gemeinsam gegen die autoritäre Herrschaft General de Gaulles auf die Straßen, in den USA marschierten hunderttausende gegen den Vietnamkrieg und die Rassendiskriminierung, in Mexiko-Stadt protestierten Zehntausende Studenten für ein anderes Bildungssystem und wurden brutal zusammengeschossen, in Prag versuchte man, das stalinistische Modell durch einen demokratischen »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« abzulösen – ein Versuch, der von sowjetischen Panzern erstickt wurde.

Auch die Bundesrepublik veränderte sich. 1969 kam es in Bonn zur Bildung einer sozialliberalen Koalition, Willy Brandt wurde Bundeskanzler. Zum ersten Mal seit Gründung der Republik führte ein Sozialdemokrat die Regierung. »Mehr Demokratie wagen« war das Motto seiner Bundestagswahlkampagne. Reformen lagen in der Luft, und die sozialdemokratische Partei, unterstützt von Gewerkschaften und einer breiten gesellschaftlichen Aufbruchsstimmung, machte sich zu ihrem Motor.

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Exkurs: Die Jugend- und Studentenbewegung 1967/68 in Westberlin

In den 1960er Jahren explodierten die Studierendenzahlen in Westberlin: Noch Anfang 1956 hatte das Abgeordnetenhaus versucht, die Studentenzahl an der Freien Universität auf 9500 zu begrenzen. Dennoch wuchs sie bis 1966 auf 15.615 an. Derselbe Trend machte sich an der Technischen Universität bemerkbar. Die Massenuniversitäten wurden zu Orten gesellschaftlichen Aufruhrs gegen die als erstarrt empfundenen gesellschaftlichen Verhältnisse. Gewaltsame Konflikte brachte das Jahr 1967: Am 2. Juni hatte die Polizei eine Protestdemonstration gegen den Besuch des Schahs von Persien knüppelnd auseinandergetrieben. Der Polizist Karl-Heinz Kurras hatte den 26 Jahre alten Benno Ohnesorg, einen Studenten der Romanistik und Germanistik, erschossen.

Nach Willy Brandt, der die »Frontstadt« von 1957 bis 1966 regiert hatte, stand nun der links-pragmatische Sozialdemokrat Klaus Schütz an der Spitze des Senats. Der revolutionäre Schwung der Studenten, deren wichtigste Organisation der 1961 aus der SPD ausgeschlossene Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) war, richtete sich auch gegen die sozialdemokratische Stadtregierung. »Brecht dem Schütz die Gräten, alle Macht den Räten!«, war eine der halbernst gemeinten Parolen der Protestierenden. Für sie verkörperte Schütz – der nach dem Krieg selbst zum äußersten linken Flügel der SPD gehört und rätedemokratische Positionen vertreten hatte – das verhasste »System«.

Außenpolitische Themen wie Vietnamkrieg, Protest gegen die Schah-Monarchie und die rechte Militärdiktatur in Griechenland standen im Vordergrund, doch auch innenpolitisch ging es hart zur Sache – etwa gegen den Springerkonzern, dessen Enteignung der SDS forderte. Die Entfremdung zwischen Sozialdemokratie und linken Studierenden war enorm: »Wir lassen uns unser freiheitliches Berlin nicht zertrampeln«, rief der Regierende Bürgermeister vom Schöneberger Rathausbalkon in die Menge – während 10.000 Studierende zum Abschluss des Vietnam-Kongresses gegen den Krieg in Indochina protestierten. DGB-Sprecher Walter Sickert wetterte gegen die »Handvoll Halbstarker«, SPD-Chef Kurt Mattick gegen »Spinner und Außenseiter«. Das lag nah an der Diktion der Bild-Zeitung: »Lasst Bauarbeiter ruhig schaffen – kein Geld für langbehaarte Affen«.

Fast ein Wunder, dass die Mehrheit der Westberliner Bevölkerung Gelassenheit zeigte: Nur 37 Prozent waren der Meinung, den Studierenden gehe es »nur um Radau«. Für 70 Prozent waren die Demonstrationen eine »zulässige«, für immerhin 35 Prozent eine »ernsthafte« politische Meinungsäußerung – in der gesamten Bundesrepublik sahen das nur 24 Prozent so.

(nach: https://www.berliner-zeitung.de/berlin/ziviler-protest-1968-kaum-ein-jahr-war-so-bizarr-und-ernst-zugleich-29670578)
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Ein für die Arbeit der Jugendbildungsstätte Berlin-Konradshöhe wichtiger Meilenstein sozialdemokratischer Reformpolitik war – auf Landesebene – die Verabschiedung des ersten Berliner Bildungsurlaubsgesetzes, das sich speziell an junge Beschäftigte und Auszubildende richtete. Das »Gesetz zur Förderung der Teilnahme an Bildungsveranstaltungen« trat 1970 in Kraft. Erstmals existierte damit eine gesetzliche Regelung, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bis zur Vollendung ihres 21. Lebensjahres die bezahlte Freistellung von der Arbeit für die Teilnahme an anerkannten Veranstaltungen zur politischen oder beruflichen Bildung eröffnete. Sechs Jahre später wurde die Altersgrenze auf 25 Jahre angehoben, was es mehr jungen Menschen ermöglicht, Bildungsurlaub in Anspruch zu nehmen.




In Konradshöhe rückte damit in den 1970er Jahren die Jugendbildungsarbeit noch stärker in den Mittelpunkt. Bildung war eines der großen Themen des gesellschaftlichen Umbruchs. »Ende der 1960er/Anfang der 70er Jahre erlebte die Bundesrepublik eine umfassende Bildungsdebatte, wie es sie seither nie wieder gegeben hat«, erinnert sich Klaus Pankau, der Anfang/Mitte der 1970er nach Konradshöhe kam. »In diese Debatte klinkten wir uns ein, aber wir wollten sie ausdrücklich nicht auf die berufliche Bildung beschränken.«

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Exkurs: Die Einbindung der Bildungsstätte in die Gewerkschaftsorganisation der DAG

Der Verein »DAG-Jugendbildungsstätte Konradshöhe e.V. war seit seiner Gründung in der 60er Jahren so organisiert, dass der jeweilige Landesjugendleiter den Vorsitz innehatte, der Landesverbandsleiter war stets Stellvertretender Vorsitzender. Die weiteren 18 Mitglieder setzten sich paritätisch zusammen aus Mitgliedern des Landesjugendvorstands und des Landesverbandsvorstands. So waren nicht nur Austausch und Anbindung an die Gewerkschaft gesichert, sondern insbesondere die formalen Anforderungen erfüllt, um als »anerkannter, freier Träger der Jugendhilfe« zu fungieren und öffentliche Mittel aus dem Bundesjugendplan/Sonderplan Berlin zu beanspruchen.
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Klaus Pankau studierte Psychologie, Soziologie und Erwachsenenbildung an der FU Berlin und begann 1976 in Konradshöhe als Teamer in der Jugendbildungsarbeit. Leiter des Hauses war zu dieser Zeit der aus der Industrie kommende, ehemalige Landesjugendleiter, Konrad Schülke. 1980 übernahm dann Pankau die Leitung der Bildungsstätte. Pankau`s Geschichte ist ein Beispiel dafür, dass der Graben zwischen Studentenbewegung auf der einen und Sozialdemokratie und Gewerkschaften auf der anderen Seiten zwar real, aber nicht unüberbrückbar war: »Wir kamen aus der linken FU-Ecke«, erinnert sich der heute 66-Jährige. »und in Konradshöhe stießen wir auf die harte Realität der gewerkschaftlichen und betrieblichen Bildungsarbeit«.




In Konradshöhe erlebte und schuf Pankau ein Klima, in dem Jugendbildung aus einer gewerkschaftlichen Perspektive, aber ohne zu starke Verengung auf die unmittelbaren Bedürfnisse der organisatorischen Kaderbildung diskutiert wurde. Sicher, die gewerkschaftliche Grundlagenbildung für die bestehenden Betriebsjugendgruppen aus allen Organisationsbereichen der DAG stand nie zur Disposition. Ebenso wenig die Ausbildung der Jugendvertreter und Jugendvertreterinnen, die hier erst das nötige Know-how für ihre Arbeit als InteressenvertreterInnen im Betrieb erhielten . Insbesondere an den Wochenenden trafen sich diverse Betriebsjugendgruppen aller DAG-Organisationsbereiche zum Austausch und zur gewerkschaftspolitischen Weiterbildung. Darüber hinaus wurde aber auch die allgemeine politische Jugendbildungsarbeit intensiviert, insbesondere mit einem Fokus auf die sich seit den 1960ern entwickelnde dissidente Pop-, Rock- und Jugendkultur. Hannes Wader trat hier auf, die aufkommenden Debatten um die militärische, aber auch zivile Nutzung der Atomkraft nahmen in den folgenden Jahren einen wichtigen Stellenwert ein. Ökologie wurde ein wichtiges Thema.


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Pankaus Geschichte ist ein Beispiel dafür, dass der Graben zwischen Studentenbewegung auf der einen und Sozialdemokratie und Gewerkschaften auf der anderen Seiten zwar real, aber nicht unüberbrückbar war.

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Parallel zur großen gesellschaftlichen Bildungsdebatte gab es damals eine hitzige Diskussion um gewerkschaftliche Bildungsarbeit, vor allem in der IG Metall und den DGB-Bildungsstätten. Darin kristallisierten sich hauptsächlich zwei Positionen heraus: Die eine, eher von traditionellen Sozialdemokraten und Kommunisten vertreten, sah die vorrangige Aufgabe gewerkschaftlicher Bildungsarbeit in der Ausbildung des betrieblichen und organisatorischen Funktionärskaders. Die andere – stärker von 1968, der »neuen Linken«, der »Frankfurter Schule« und dem italienischen Revolutionär Antonio Gramsci inspiriert – sah auch gewerkschaftliche Bildungsarbeit eher als kulturell-emanzipatorischen Ansatz, der versuchen sollte, in die Lebenswelten der Beschäftigten hineinzuwirken. »Es war ganz klar diese Richtung, in die wir gingen«, erinnert sich Pankau. »Und sicher waren wir dabei experimentierfreudiger als die meisten DGB-Bildungsstätten, denn der DAG-Landesverband und seine kluge Führung durch den Landesverbandsleiter Erich Rehm, ließen uns den nötigen Freiraum.«




So etwa als 1985 in Berlin der »Offene Kanal« im Rahmen des Kabelpilotprojektes Berlin gegründet wurde – ein Hörfunk- und TV-Kanal, der allen Interessierten offenstand und für den rundfunkrechtlich gebotenen Pluralismus im Kabelnetz sorgen sollte. Internet und »Youtube« gab es noch nicht, und in Ludwigshafen, Dortmund und in Berlin entstanden »Offene Kanäle«, in anderen Städten entwickelten sich »Freie Radios«, auf der Nordsee gab es »Piratensender«.

In der Nutzung dieser neuen Medienmöglichkeiten sah Pankau eine Chance für die gewerkschaftspolitische Jugendbildung. Junge Menschen sollten ihre betrieblichen und persönlichen Lebenswelten und deren Umbrüche medial bearbeiten, dokumentieren und dabei lernen.




Doch eine Radio- oder Fernsehsendung produzieren, erfordert Know-how. »Wir gingen damals mit anderen Interessenten aus der Jugend-, Bildungs- und Sozialarbeit zum damaligen Wirtschaftssenator Elmar Pieroth und sagten: Wir wollen, dass ihr uns Medienwerkstätten finanziert«, erinnert sich Klaus Pankau. Die Idee war abgeguckt vom BBC Channel 4. Die nötige, damals noch sehr teure Video- und Schnitttechnik wurde mit finanzieller Unterstützung des Senats angeschafft, und die jungen Leute zogen los und drehten mit Unterstützung eines eigens in der Bildungsstätte ausgebildeten fünfköpfigen Teams an Medienpädagogen ihre eigenen Filme. Eine, die damals das Projekt begleitete und hier ihre ersten Schritte in Sachen Medienkompetenz ging, war die Fernsehjournalistin Martina Zöllner, heute Kulturchefin und Leiterin der Redaktion »Doku und Fiktion« beim Rundfunk Berlin-Brandenburg rbb.

Überhaupt machten nicht wenige, die in Konradshöhe und dessen Umfeld einen Teil ihrer Jugend verbrachten und erste politischen Diskussionen führten, später beeindruckende Karrieren. So Pankau selbst, der zunächst als Landesvorsitzender der IG BAU in Berlin und Brandenburg wirkte und später in den Bundesvorstand der IG BAU aufrückte, Mark Roach, der bei ver.di den Bereich der Genossenschaftsbanken betreute oder auch Uli Dalibor, ebenfalls bei ver.di verantwortlich für die Bundesfachgruppe Einzelhandel. Aber auch eine Susanne Schäfer, die sich jahrelang sehr engagiert für den Berufsstand der Hebammen in Deutschland einsetzte, der langjährige Jugendsekretär des Berliner Landessportbundes Heiner Grupe-Brandi oder die heutige Berliner Innenstaatssekretärin Sabine Smentek.

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»Ort der Freiheit und des Ausprobierens«

Sabine Smentek, Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin, erinnert sich:

»Ich kam Anfang 1980 zum ersten Mal nach Konradshöhe, zu einem Wochenendseminar«, erinnert sie sich. »Im September 1979 hatte ich bei der Berliner Sparkasse eine Ausbildung zur Bankkauffrau begonnen und war in die DAG eingetreten. Von da an war ich bis Mitte der 80er bestimmt jedes zweite, dritte Wochenende dort. Konradshöhe war unser Jugendfreizeittreff für das Wochenende. Ich engagierte mich in der DAG-Jugend, wurde Jugendvertreterin. In Konradshöhe machte ich nicht nur meinen »Jugendgruppenleiterschein«, sondern lernte praktisch alles, was man über die ergebnisorientierte Moderation heterogener Gruppen wissen muss.

»Konradshöhe war für mich ein Ort der Freiheit und des Ausprobierens. Mal habe ich ein Wochenendseminar moderiert, später eine Frauengruppe gegründet. Wenn wir am Wochenende zusammensaßen, um Anträge für den Gewerkschaftstag zu formulieren, habe ich gelernt, wie man politische Positionen vertritt. Das war meine politische Grundausbildung, vielleicht wichtiger als die eigentliche Gewerkschaftsarbeit bei der DAG.

Eine Zeitlang war ich im Vereinsvorstand des Trägervereins der Bildungsstäte Revisorin, und ich erinnere mich, wie aufregend es war, die Inventur durchzuführen. Zum ersten Mal so eine Verantwortung tragen! In meinem späteren Beruf als Organisationsberaterin hat mir das alles sehr geholfen.

Besonders im Gedächtnis geblieben sind mir Bilder und Ereignisse, die meist ganz unpolitisch waren: Das Fischernetz, das an der Decke unseres Fetenraums hing oder wie sich meine Freundin an der verschlossenen Toilettentür die Nase gebrochen hat -- so wie man Dinge, die man als Jugendliche eben erlebt.

Der damalige Leiter Klaus Pankau sagte mir irgendwann: Sabine, wenn du in deinem Leben weiter politisch aktiv sein willst, dann schaffe dir ein ideologisches Rüstzeug. Das habe ich mir gemerkt, und es hat mein weiteres Leben geprägt. Ich bin nicht nur gewerkschaftlich aktiv geblieben, sondern auch 1984 in die SPD eingetreten, und die Grundwerte von damals bilden bis heute einen Korridor für meine politischen Entscheidungen. Ich bin ein "Gewerkschaftskind", das prägt meine Arbeit inhaltlich bis heute, etwa, wenn es um Arbeitnehmerrechte geht, auch die Art, wie ich auf Menschen zugehe und wie ich Menschen mag. Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass man das nur in der gewerkschaftlichen Jugendarbeit lernen kann, aber ich habe es dort gelernt, und zwar in Konradshöhe.

Dass sich Gewerkschaften die Jugendarbeit, wie sie sie in den 70er/80er Jahren gemacht haben, heute nicht mehr leisten können, ist dramatisch. Ich habe es damals so empfunden, dass wir als DAG-Jugend Innovation in die Gewerkschaft getragen haben. Wir waren ein bisschen der Stachel im Fleisch von denen, die alles einfach so weiter machen wollten wie bisher. Und so etwas braucht jede Organisation. Wenn man das vernachlässigt, schneidet man sich die eigene Zukunft ab.«
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Auch Computerkurse fanden damals in Konradshöhe statt, in einer Zeit da PCs für private Haushalte, geschweige denn Jugendliche, noch unerschwinglich waren. Jugendkultur war ein Thema, das mehr und mehr Raum einnahm. Konradshöhe und die DAG-Jugend waren vernetzt in sehr viele Richtungen – DAG, SFB-Rundfunkrat, Arbeitsamt, aber auch natürlich auch über den Landesjugendring in die anderen Jugendverbände und in die politischen Parteien. Der Soundtrack der beginnenden 80er Jahre kam von der band »Fehlfarben«: "Keine Atempause, Geschichte wird gemacht - es geht voran." Über 180 Häuser waren damals von jungen Menschen »instandbesetzt« und der Senat von Berlin fand kein Mittel diese Welle mit sinnvoller Sanierungs- und Wohnungsbaupolitik zu nutzen. Mark Roach, der Vereinsvorsitzende war in dieser Zeit auch Vorsitzender des Landesjungendring Berlins, Klaus Pankau sein Stellvertreter. »Ich weiß nicht mehr, wie viele Nächte Mark und ich damals im Tempodrom durchdiskutierten, denn wir versuchten zu vermitteln und mit den ›Besetzerräten«, langfristige Perspektiven besetzte Häuser zu entwickeln«, erinnert sich Pankau. Kooperationspartner waren neben den Jungendverbänden des Landesjugendrings, vor allem die Senatsverwaltung für Jugend, die SPD-Kreuzberg, damals mit einem Kreisvorsitzenden Walter Momper, dem späteren Regierenden Bürgermeister, die Aktivisten des Mehringhofs und parteilose, engagierte Einzelpersonen, wie etwa dem legendären Kreuzberger Drogisten, Werner Orlowsky. Es waren Bemühungen inmitten einer aufgeheizten Atmosphäre, auch strittig in der Gewerkschaft: denn es gab gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Hausbesetzern und Polizei, an deren Spitze der rechtslastige CDU-Innensenator Heinrich Lummer stand. Bei einer von Lummer brachial durchgesetzten Räumungsaktion im September 1981 war der 18-jährige Klaus-Jürgen Rattey auf der Flucht vor der Polizei vor einen BVG-Bus geraten und tödlich verunglückt.

»Die Frage: ›Was hat das denn noch mit gewerkschaftlicher Bildung zu tun?‹, war zu dieser Zeit bestimmt nicht ganz unberechtigt«, räumt Pankau ein. »Doch natürlich beherrschten diese Themen damals die Diskussion unter allen Jugendlichen. Und die Auseinandersetzung damit machte die gewerkschaftliche Jugendbildungsarbeit in dieser Zeit spannend und authentisch.«

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»Für mich füllte sich das Bild von der Gewerkschaft endlich mit Leben«

Susanne Schäfer, Hebamme in Kleinmachnow und jahrelange Vorsitzende des Bundes freiberuflicher Hebammen Deutschlands e. V., , erinnert sich:

»Auf einer Jugendversammlung 1980 im Kaufhaus Wertheim am Ku'damm erzählte uns der Gewerkschaftssekretär Uli Dalibor von der Möglichkeit, einen Bildungsurlaub in der Jugendbildungsstätte Konradshöhe der DAG zu machen. Unser ganzes Ausbildungsjahr war von dieser Idee begeistert, und wir meldeten uns als komplette Berufsschulklasse zu einem Seminar an.

Für mich persönlich füllte sich nun das Bild von Gewerkschafts-Aktivitäten endlich sinnvoll mit Leben. Ich hatte vorher keine konkrete Vorstellung, was ich selbst ganz praktisch mit Gewerkschaft anfangen könnte.

Wir bekamen ordentliches Rüstzeug, um unsere Rechte und Pflichten als Auszubildende wahrzunehmen. Ich selbst bin dadurch ermutigt worden, bei der damals anstehenden Jugendvertreterwahl in unserem Wertheim-Haus zu kandidieren. Es folgte für mich eine langjährige Phase als Beschäftigtenvertreterin im Hertie-Konzern und des vielfältigen politischen Engagements innerhalb der DAG.

Spaß hatten wir natürlich auch. Ich bedaure, dass junge Menschen durch die Schließung dieser und vieler anderer gewerkschaftlicher Bildungsstätten heute leider nicht mehr so großartige Möglichkeiten haben, sich auf niedrigschwellige Weise an gesellschaftspolitisches Engagement heranzutasten, sich zu engagieren und ihre Demokratiefähigkeit mit Gleich- und auch Andersdenkenden im engagierten Diskurs zu üben.«
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In den 70er und 80er Jahren begann man in Konradshöhe auch, eine systematische Bildungsarbeit mit migrantischen Jugendlichen aufzubauen. »Ein verbreitetes Problem damals, war, dass Kinder türkischer Arbeitsmigranten in der Türkei beschult wurden und dann im Alter von 15 Jahren als Jugendliche ohne Deutschkenntnisse und anerkannten Schulabschluss nach Westberlin kamen«, erinnert sich Pankau. In Zusammenarbeit mit Berufsschulen und Pädagogen und gefördert von Berlins Ausländerbehörde entwickelte man, Kurse, die den Jugendlichen helfen sollten, einen Einstieg in eine Berufsausbildung zu finden. In den 80er Jahren nahm auch die langjährige enge Kooperation zum Thema Integration und Migration mit Barbara John ihren Anfang, die mehr als zwei Jahrzehnte lang das Amt der Ausländerbeauftragten des Berliner Senats ausübte. Ein wichtiger Partner war auch das Berufsamt, in dem viele Jugendliche mit Migrationshintergrund eine Ausbildung erhielten.




Das gesamte Team um Klaus Pankau verstand sich als Teil des gesellschaftlichen Umbruchs, der die Bundesrepublik damals erfasst hatte, und nahm dabei in gewisser Weise eine Scharnierfunktion zwischen demokratischen Institutionen und neuen sozialen Bewegungen ein: »Wir waren vernetzt in zahlreichen Gremien, vom Landesjugendring, über die Industrie- und Handelskammer, den SFB-Rundfunkrat bis zum Arbeitsamt und hatten ein direktes Mandat im Landesjugendwohlfahrtsausschuß.

Westberlin hatte damals immer noch einen starken öffentlichen Sektor und viel M/E-Industrie, aber die Industrie wanderte langsam ab. Auch die Studentenbewegung von 68 befand sich in der Defensive, wirkte aber noch fort. Dass die DAG als Multibranchengewerkschaft Beschäftigte aus praktisch allen Wirtschaftszweigen von Öffentlichen und privaten Dienstleistungen bis zur Industrie organisierte, empfand Pankau als einen großen Vorteil: »Ich habe jeden Donnerstag an der DAG-Abteilungsleitersitzung teilgenommen, wo die leitenden Sekretäre der Branchen saßen, und war dadurch immer gut informiert über die wirtschaftliche Entwicklung und die Lage in den Betrieben.«

Das Team aus Konradshöhe wartete auch nicht, dass die Jugendlichen kamen, sondern sprach sie offensiv an und verteilte Flugblätter vor Schulen und Berufsschulen. »Wir gaben Tipps für Azubis und Berufsanfänger«, erinnert sich der Gewerkschafter Ulrich Dalibor, der sich über Jahrzehnte in der Bildungsstätte engagierte. »Dabei kamen uns unsere hervorragenden Kontakte zu Schulleitern und in der GEW aktiven Lehrern zugute, die mit uns zusammenarbeiteten.« Wann immer ein »Belegungsnotstand« in der Bildungsstätte entstand, gelang es, mit gemeinsamen Werbeaktionen von DAG-Jugendgruppen, Betriebsräten und vor allem den Sekretären der Landesjugendleitung, Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu gewinnen.

Internationale Arbeit spielte eine wichtige Rolle. Die Umbrüche in Spanien nach Francos Tod, die portugiesische »Nelkenrevolution« – all das faszinierte auch die jugendlichen Teamerinnen und Teamer in Konradshöhe. Versöhnung mit den von den Nazis überfallenen Ländern, mit Frankreich und Osteuropa, war ein ernstes Thema, der Zweite Weltkrieg lag nur eine Generation zurück: »Wir waren Soldatenkinder«, sagt Pankau. Die Geschichte der Gewerkschaften und ihre Zerschlagung in Berlin 1933 war Gegenstand in den Seminaren, ebenso wie die Neugründung nach 1945. Viele Zeitzeugten lebten noch und berichteten über die Auseinandersetzungen zwischen FDGB (Berlin-Ost) und der Unabhängigen Gewerkschaftsopposition (UGO, der Vorläuferin des DGB in Berlin). Hilde Jechow war z.B. eine Zeitzeugin, die in einem Video der Medienwerkstatt lebhaft berichtete, wie sie als junge Frau in ihrer Unterwäsche wichtige Unterlagen und Schreibmaschinenteile von Ostberlin (FDGB in der Wallstraße) nach Westberlin (DAG in der Bernburger Straße) schmuggelte. Über Gewerkschaftskontakte, etwa mit der französischen CGT-FO, aber auch mit dem TUC in Großbritannien und den Gewerkschaften in Osteuropa wurden Jugendfahrten organisiert. Die »Neugier aufeinander war groß«. Und auch daran, dass die interessantesten Diskussionen oft »am Rande der offiziellen Treffen« zustande kamen. In Konradshöhe wurden eine Vielzahl internationaler Begegnungen vorbereitet, bei denen junge Leute etwa in Frankreich, England, Israel die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen in anderen Ländern und ihre Art der Gewerkschaftsarbeit kennenlernten, Kontakte knüpften und ihren Horizont erweiterten. Gedenkstättenbesuche in der damaligen CSSR – so im KZ Theresienstadt und im Dorf Lidice, dessen Einwohner von deutschen Ordnungspolizisten und Wehrmachtssoldaten ermordet worden waren – wurden hier mit den TeilnehmerInnen ebenso vorbereitet, wie die Diskussionen mit den offiziellen Vertretern des tschechischen Gewerkschaftsbundes ROH.

Durchgeführt wurden die Seminare durch die jungen Gewerkschaftssekretärinnen und -sekretäre der DAG- Landesjugendleitung und freiberufliche Teamerinnen und Teamer aus der Bildungsstätte – in der Regel handelte es sich um Studierende mit einem gewerkschaftlichen Bezug. Ihnen war es ein Anliegen, gewerkschaftliche mit politischer Bildung zu verzahnen. Mit Abschlussklassen der Oberschulen wurden Wochenseminare zur Berufsorientierung durchgeführt, auch wurden Einstellungstests simuliert und trainiert und Seminare für neue Azubis durchgeführt.

In die 1980er Jahre fällt auch die bauliche Erweiterung der Bildungsstätte, die durch die im Zuge des Jugendbildungsurlaubsgesetzes vor allem ab Mitte der 70er gestiegene Nachfrage notwendig geworden war. Finanziert wurde der Ausbau durch einen Teilverkauf von Grundstücksflächen und durch Zuschüsse, die der damalige DAG Bundesjugendleiter Rudolf Helfrich über die »Stiftung Deutsche Jugendmarke« organisierte. Nach der Modernisierung, die die technische Abteilung der GEHAG (die DAG hielt noch 33 Prozent der Aktien) hatte die Bildungsstätte nun 20 Zimmer, in denen bis zu 64 Personen übernachten konnten. Als eine von insgesamt acht anerkannten Jugendbildungsstätten in Berlin (West) war Konradshöhe nicht nur wegen seines inhaltlichen und didaktischen Profils attraktiv, sondern auch wegen Ausstattung und Lage: Gekocht wurde in der eigenen Küche. Das direkt an der Havel gelegene Grundstück bot viele Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten. All das trug dazu bei, dass sich Konradshöhe in Westberlin als wichtiger Ort außerschulischer Bildung etabliert hatte.