Was bleibt? Ein Rückblick



V  Was bleibt? Ein Rückblick

Um die 1200 Jugendliche haben in Konradshöhe Jahr für Jahr Seminare belegt wie: »Meine Rechte als Jugendvertreter«, »Das Berufsbildungsgesetz«, »Geschichte der Gewerkschaften«, Atomkraft, Nein danke«, »Kirche und Gewerkschaft«, »Übergang von der Schule in den Beruf« und vieles mehr. Hier trafen sich regelmäßig Schülerinnen und Schüler aus der Plattenbausiedlung Märkisches Viertel, fanden Seminare für jugendliche Geflüchtete statt – bis hin zu Radfahr- und Schwimmkursen. Durch ihr vielfältiges Bildungsangebot hatte der Verein öffentliche Förderung durch das Land in Höhe von rund 180 000 Euro jährlich akquiriert – Geld, das der ver.di-Jugendbildungsarbeit nun mit der Schließung dauerhaft verlorengeht.


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Kann es sich ver.di leisten, eine gut laufende Jugendbildungsstätte zu schließen?

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»Die Schließung war kurzsichtig, dumm und ignorant.« Uli Dalibor, langjähriger Bundesfachgruppenleiter Einzelhandel in der ver.di Bundesverwaltung und Vorsitzender des Fördervereins jbs Konradshöhe e. V. bis zur Abwicklung des Vereins, redet Tacheles. »Tausende Jugendliche nicht nur aus dem Berliner Norden werden künftig keine Chance mehr haben, unsere Bildungsangebote wahrzunehmen. In Zeiten, in denen Rassismus und Rechtspopulismus grassieren und der Nationalismus auf dem Vormarsch ist, ist das ein Desaster.« Eine »ärgerliche und kurzsichtig vertane Chance« sieht auch Margit Hauck, die das Problem mit einer Frage auf den Punkt bringt: »Kann es sich ver.di leisten, eine gut laufende Jugendbildungsstätte zu schließen?«

Im Rückblick war Konradshöhe »ein toller Ort für diese Art von Jugendarbeit«, so das Fazit von Elke Weißer. »Wir haben es geschafft, einen kleinen Gegenpol zu Individualismus und Vereinzelung zu schaffen. Wir hatten ein tolles Team, mit einem großartigen Gemeinschaftsgefühl und viel Gestaltungsfreiheit – wenn auch innerhalb enger finanzieller Grenzen. Unser Ansatz war: Unterstützung für Jugendliche in ihren Lebenssituationen, um dabei auf eine niedrigschwellige Weise solidarisches Verhalten einzuüben.«

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»Das ›coole‹ Gewerkschaftshaus«

Uli Dalibor erinnert sich:

»Gewerkschaften und Gewerkschaftshäuser sind keine ›In-Locations‹, in die es Jugendliche magisch zieht. Im Gegenteil, sie wirken von außen – und oft auch von innen – eher wie Behörden, in die man nur dann geht, wenn man muss. Die DAG-Jugend Berlin hatte einen ganzen Strauß von Ideen entwickelt und umgesetzt, um jungen Leuten den Eintritt in das Gewerkschaftshaus – und in die Gewerkschaft – zu erleichtern. Etwa die legendären »Berufsanfängerfeten«, für die vor den Berufsschulen aber auch in Jugendsendungen im Radio geworben wurde. Die gewerkschaftliche Jugendbildungsstätte in Konradshöhe hatte immer auch die Ausstrahlung eine »coolen« Gewerkschaftshauses, in dem man locker Tage oder Wochen verbringen konnte, dabei etwas lernte, aber eben auch bei der Gewerkschaft »über die Schwelle getreten« war. Die rund 1200 BerufsschülerInnen, die in den vergangenen Jahren jährlich in Konradshöhe waren, um Themen wie »Meine Rechte im Beruf«, »Konfliktlösungsstrategien« oder auch »Teambuilding« zu bearbeiten, waren eben auch in einem ver.di-Haus. Das hat sich nun erledigt.«
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Mit ihrer undogmatischen Orientierung an den realen lebensweltlichen Bedürfnissen junger Menschen war die Jugendbildungsstätte Konradshöhe ihrer Zeit voraus, meint Klaus Pankau. »Wir haben uns immer als gewerkschaftlicher Sensor für Stimmungen und Veränderungen in der Gesellschaft verstanden.« Wichtig sei dabei immer die Doppelgleisigkeit gewesen: Das gewerkschaftliche Brot- und Buttergeschäft der betrieblichen Interessenvertretung und Verankerung zu betreiben und zugleich auf gesellschaftliches Engagement, kulturelle Kreativität und politische Reflexion zu entwickeln. »Gewerkschaftliche Bildungsstätten müssen Innovationszentren sein, in denen Zukunft diskutiert wird«, meint Pankau, »Orte, an denen man sich auseinandersetzen kann, ohne sofort in Entscheidungsprozesse involviert zu sein.«


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Ein Großteil der jungen kreativen Generation läuft heute komplett an den Gewerkschaften vorbei, und weder die einen noch die anderen sehen darin ein Problem.

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Mit dem Wildwuchs prekärer und halbprekärer Arbeitsbeziehungen – gerade auch in der Berliner »Kreativwirtschaft« – kommen viele junge, gebildete Menschen heute gar nicht mehr mit Gewerkschaften in Berührung. Im Gegenteil: Ein Großteil der jungen kreativen Generation läuft komplett an den Gewerkschaften vorbei, und weder die einen noch die anderen sehen darin ein Problem. Und doch liegt es auf der Hand: Freiräume für gewerkschaftliche Innovation, wie es die Jugendbildungsstätte Konradshöhe war, sind heute wichtiger denn je.
 

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Fotos: ver.di Jugendbildungsstätte Berlin – Konradshöhe e.V./private Archive
Karten: OpenTopoMap (Lizenz CC-BY-SA)