Unterm Dach von ver.di – Überlebenskampf auf verlorenem Posten

IV  Unterm Dach von ver.di – Überlebenskampf auf verlorenem Posten


Die anderthalb Jahrzehnte der Jugendbildungsstätte Konradshöhe unterm Dach der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft sind von schwieriger werdenden Rahmenbedingungen und schwindendem Rückhalt der Gewerkschaft gekennzeichnet. »Es war deutlich zu spüren, dass sich mit der Fusion etwas Grundlegendes verändert hatte«, erinnert sich Margit Hauck. »Dieses bei der DAG nie in Frage gestellte Selbstverständnis dazuzugehören – das war plötzlich nicht mehr da.«

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»Bildungsarbeit, zumal allgemeine politische, soziale und kulturelle Jugendbildung, verlor zunehmend den Status einer gewerkschaftlichen Kernaufgabe.«

Peter Bohl, Leiter der Bildungsstätte von 2002 bis 2008, erinnert sich:

»Zum 1.1.2002 übernahm ich die Leitung der Bildungsstätte und die Geschäftsführung des Trägervereins. Die DAG war abgewickelt, präsent aber noch die Personen, die bereits in der Vergangenheit für deren gewerkschaftliche Anbindung verantwortlich waren – allen voran die damalige Jugendsekretärin im Landesbezirk Berlin-Brandenburg. Petra Ringer und der ehemalige DAG-Landesleiter Hartmut Friedrich, nun Mitglied der Landesbezirksleitung sowie Marianne von Heusinger, auf Bundesebene zuständig für die ver.di-Bildungszentren. Solche Personen waren es, die die Anbindung an und die Einbindung in ver.di aktiv unterstützten. In den Folgejahren waren wir dadurch gut integriert in die bundesweite Vernetzung der ver.di-Bildungszentren als auch in die Zusammenarbeit mit den Fachbereichen im Landesbezirk. Zahlreiche junge GewerkschaftsaktivistInnen, nun auch aus anderen Quellgewerkschaften, bildeten bereits einen starken ehrenamtlichen Kader zur Durchführung der seit Jahren anerkannten und von der DAG ererbten Bildungsarbeit in Konradshöhe.

Aber: Es mangelte an Anerkennung durch die Strukturgremien der Organisation ver.di: Auf Bundesebene wurden bereits strukturelle Einschnitte vorgenommen und gewerkschaftliche Bildungszentren abgewickelt – Bildungsarbeit, zumal allgemeine politische, soziale und kulturelle Jugendbildung, verlor zunehmend den Status einer gewerkschaftlichen Kernaufgabe.

Der Bezirk Berlin erteilte gar in Person von Gabi Lips als der damals Zuständigen für Jugend und Bildung systematisch eine generelle Absage an jede Form der Zusammenarbeit (Zitat: »Ihr gehört nicht zu uns«) – stillschweigend gedeckt vom Bezirksgeschäftsführer Roland Tremper. Die bezirklichen Jugendsekretärinnen waren angewiesen, Konradshöhe für Aktivitäten und Seminare zu meiden und diese Haltung in den gewerkschaftlichen Jugendgremien durchzusetzen. In Abstimmung mit dem DGB-Jugendsekretär Daniel Wucherpfennig sollte sich Konradshöhe nicht zur Partnerin der DGB-Jugendbildungsstätte Flecken-Zechlin etablieren können, sondern wurde nicht nur innerhalb der Gewerkschaftsjugend als deren Bedrohung inszeniert. Ich war mir mit dem damaligen DGB-Vorsitzenden Dieter Scholz bei dessen Besuch in Konradshöhe einig: verpasste Chancen.

Zeitgleich befand sich auch das Land Berlin 2002 in der Haushaltskonsolidierung und stellte die Landesförderung der außerschulischen politischen Bildung aller damals acht vom Land geförderten Jugendbildungsstätten in Frage, darunter beide gewerkschaftliche Einrichtungen: wir waren damit doppelt existenziell gefährdet.

Bei Antritt meiner Leitungsaufgabe wähnte ich mich zunächst in der Falle, tatsächlich ungewollt »Abwicklungsgeschäftsführer« (Zitat Gabi Lips bei meinem Antrittsbesuch 2002) geworden zu sein: Der erste von mir zu verantwortende Jahreshaushalt 2002 (Bedarf 330 Tsd. EUR) hatte eine Unterdeckung in Höhe von ca. 50 Tsd. EUR – es drohte Insolvenz. Nur mit Unterstützung der oben genannten Förderer konnten schnelle Übergangslösungen gefunden werden, die dieses Defizit bis zu ersten Erfolgen in der angestrebten Drittmittelakquisition überbrücken ließen.

Die strukturelle Unabhängigkeit von ver.di als eingetragener Verein barg Risiken, aber als anerkannter Träger der Jugendhilfe zugleich Chancen: Falls und so lange wir künftig ausreichend ergänzende Fördermittel akquirieren würden, sollte unsere Arbeit Perspektive haben: Es gelang bereits 2002 und in schneller Folge im Anschluss drei jeweils mehrjährige einander zeitlich überschneidende Projektförderungen aus EU- und Bundesmitteln für Berlin und Brandenburg zu akquirieren, welche den Jahreshaushalt auf 500-600 Tsd. EUR p. a. wachsen ließen und damit von roten in schwarze Zahlen führte. Eines dieser Projekte, die »Ausbildung betrieblicher Mediatoren« für die Stadtverwaltung in Eisenhüttenstadt sowie des dortigen EKO-Stahlwerks, wurde aktiv mit initiiert vom damaligen Bildungssekretär des DGB, Marco Steegmann, heute ver.di, und Dieter Scholz.

Mehr noch: Gerade diese aus Bundes- und EU-Mitteln durchgeführten Konradshöhe-Projekte wurden zwischen 2002 und 2008 bundesweit geachtete »Markenzeichen der ver.di Jugendbildungsarbeit« und zu einem innerhalb der Organisation völlig unterschätzten Beitrag zur Stärkung der Außenwirkung unserer Gewerkschaft: Sie wurden alle in Publikationen der Zuwendungsgeber als »Best-Practice« der Jugendbildungsarbeit mit systematischem Bezug zur Arbeitswelt bundesweit öffentlich gewürdigt. Darunter »Energon – Berufseinstiegsmentoring«, damals noch ein »Pilotprojekt« zur Vernetzung von Berliner Verwaltungen und Betrieben mit Gesamt-, Berufs- und Gemeinschaftsschulen. Heute bildet Mentoring einen bundesweit eingeführten Standard in der Berufsorientierung.

Die Nähe zur Arbeitswelt, welche die Bildungsstätte nur mit deren Anbindung an ver.di und DGB und der tatkräftigen Unterstützung wohlwollender Kolleginnen und Kollegen sicherstellen konnte, bildete ein Alleinstellungsmerkmal, welches sich zu einer Erfolgsgarantie für gewerkschaftlich angebundene Bildungsarbeit hatte mausern können – zermürbenden Widerständen und andauernden Anfeindungen aus den eigenen Reihen zum Trotz.

Das Konzept der Akquise arbeitsweltorientierter Bildungsprojekte war bei meinem Weggang Ende 2008 gut etabliert und zum Standbein der Finanzierung von Konradshöhe geworden und konnte von der nachfolgenden Leiterin Elke Weißer mit weiteren fachlichen Schwerpunkten erfolgreich fortgesetzt werden.

Wenn da nicht auch immer das Veräußerungspotential des von ver.di zur Verfügung gestellten Standortes in traumhafter Lage mit Blick auf die Havel als Damoklesschwert über der Bildungsstätte gehangen hätte – trotz teilweise erheblicher Investitionen in das Gebäude: Konradshöhe war mit Gründung der ver.di zu »Tafelsilber« geworden – bereits ab 2002 eine durchgängige Bedrohung, die bei mangelnder Anerkennung durch unsere Gewerkschaft die dortigen Leistungen von heute auf morgen in Frage stellen konnte.

Immerhin erst 14 Jahre nach Gründung von ver.di sollten sich diejenigen gewerkschaftlichen Akteure durchgesetzt haben, die Konradshöhe von Anfang an ausgrenzen wollten – hervorragende politische, soziale und kulturelle Jugendbildung in gewerkschaftlicher Anbindung hin oder her.
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Mit der ver.di-Gründung hatten sich die finanzielle Situation grundlegend verschlechtert. War Konradshöhe als »Haus der DAG-Jugend« noch eine voll ausfinanzierte gewerkschaftliche Bildungsstätte gewesen, gewährte ver.di keinerlei Zuschüsse mehr für das operative Geschäft. Jährlich flossen lediglich 100.000 Euro aus dem Bildungsetat der ver.di als Mietzuschuss an die eigene Immobilienverwaltungstochter IVG. Für ver.di war das ein »durchlaufender Posten« – für die Bildungsstätte bedeutete es Mietfreiheit.

Personal- und Betriebskosten jedoch mussten aus den laufenden Einnahmen des Seminarbetriebs oder durch Weitervermietung bestritten werden. Zugleich setzte sich der, bereits nach der Jahrtausendwende begonnene Trend zur Kürzung öffentlicher Förderung im Bereich der Jugendhilfe fort. Elke Weißer, die 2009 die Leitung der Bildungsstätte übernahm, erinnert sich: Obwohl sie als »pädagogische Leiterin« eingestellt wurde, stellte sich schnell heraus, dass vor allem ihre Kompetenz im Einwerben öffentlicher Förder- und Projektmittel gefragt war.

Im Großen und Ganzen finanzierte sich die Jugendbildungsstätte unterm Dach von ver.di zu je einem Drittel:

- durch öffentliche Zuschüsse des Berliner Senats
- Fördermittel aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF)
- aus dem »wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb«.

2010 wurde dieses Modell durch die EU-Kommission in Frage gestellt, und die ESF-Mittel wurden gesperrt. Innerhalb von sechs Wochen brach damit ein Drittel der Finanzierung weg. »Damals war zum ersten Mal die Atmosphäre durch Angst vor Schließung geprägt«, erinnert sich Elke Weißer. Im Handumdrehen musste ein Konzept her, um die Finanzlücke zu schließen, was auch gelang. Damit gab es dann auch die Zusage ver.dis notwendige Investitionen zu tätigen, um die kommenden zehn Jahre Jugendbildungsarbeit abzusichern. 400.000 € flossen und brachten erhebliche Verbesserungen an der Jugendbildungsstätte unter Dach und Fach.

Grundsätzlich blieb Konradshöhe dem Ansatz treu, »Hilfe zur Lebensorientierung aus der Sicht von Auszubildenden und jungen Beschäftigten« zu geben, betont Elke Weißer. So etwa für junge Leute, die damals keinen betrieblichen, dualen Ausbildungsplatz bekommen hatten und in überbetrieblichen Ausbildungszentren lernten. Zusammen mit dem ver.di-Fachbereich Handel wurden Kontakte zu Unternehmen geknüpft, um ihnen Praktika-Stellen zu organisieren und auf diese Weise erste Einblicke in den betrieblichen Alltag zu vermitteln.

Mentoringprogramme – wie das 2010 vom ESF ausgezeichnete Programm »Energon« – wurden entwickelt, bei denen erfahrene Helferinnen und Helfer Jugendliche bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz zur Seite standen. Viele dieser ehrenamtlichen Mentorinnen und Mentoren wurden dabei aus Jugend- und Auszubildendenvertretungen heraus rekrutiert, und nicht wenige von ihnen hatten ihre theoretischen Grundlagen der betrieblichen Interessenvertretung in Konradshöhe erlernt. Jetzt begleiteten sie neue Azubis durch das erste Ausbildungsjahr, halfen, Schwierigkeiten zu meistern, Frustration zu verarbeiten und durchzuhalten, statt hinzuschmeißen. Und tatsächlich gelang es, so die Abbrecherquoten signifikant zu senken. »Wir haben immer versucht, Projekte aus dem Bedarf heraus zu entwickeln, also orientiert an den Bedürfnissen, die uns Jugendliche mitgeteilt haben«, erinnert sich Elke Weißer. »Wir waren immer gut belegt, die Jugendlichen kamen vor allem durch Mundpropaganda.«




Unter dem stärker werdenden finanziellen Druck war eine an gewerkschaftlichen Standards orientierte Bezahlung des Personals nicht mehr möglich. 2014 kam es darüber zum Konflikt. Kurz gesagt wollten die freiberuflich tätigen Teamerinnen und Teamer höhere Honorare. »Als Leiterin hatte ich Verständnis für die Forderungen, aber ich hatte schlicht nicht das Geld«, erinnert sich Elke Weißer. Dennoch suchte man nach einem Kompromiss. Ein Teamerrat wurde gebildet, eine Rahmenvereinbarung getroffen, in der die Leitung der Bildungsstätte den Teamenden eine bestimmte Anzahl von Veranstaltungen pro Jahr verbindlich zusicherte und sich verpflichtete, nicht mit anderen, externen Lehrkräften zusammenzuarbeiten.

Der Kompromiss hielt nicht lange. Kaum war die Vereinbarung unterzeichnet, traten die Teamer in den Streik. Darauf kündigte die Bildungsstätte die Vereinbarung. Ein neues Team musste aufgebaut werden, wieder überwiegend aus Studierenden. »Diesmal machten wir von Anfang an klar, dass das keine echte freiberufliche Tätigkeit sein konnte«, betont Elke Weißer. Der Neuanfang funktionierte, doch der politische Schaden blieb: Der Teamenden-Arbeitskreis von ver.di hörte auf zu existieren, das Gros der ehemals dort engagierten jungen Leute wandte sich frustriert von der Gewerkschaft ab.

2014 war auch das Jahr, in dem zum ersten Mal organisationsintern und informell die Rede aufkam, ver.di wolle die Jugendbildungsstätte Konradshöhe schließen. Anfangs mutete das noch absurd an, denn erst 2012/2013 hatte es nochmals eine große Modernisierungsinvestition von rund 400.000 Euro gegeben. Auch hatte sich der Verein nach der Beinahe-Insolvenz von 2010/2011 finanziell wieder aufrappeln und konsolidieren können. Es gab 20 Festangestellte, die dauerhaft ausschließlich über Projektmittel bezahlt werden konnten, eine durchschnittliche Belegungsquote von rund 80 Prozent und die Bildungsstätte schaffte es sogar die vorgeschriebenen Rücklagen von drei Monatsgehältern zu bilden.

Dennoch wurde klar, dass Konradshöhe in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft keine Lobby mehr hatte. Es kam zu ständigen Wechseln im Vorstand des Trägervereins, die Beteiligung an Mitgliederversammlungen ging Jahr für Jahr zurück.

Einen letzten Lichtblick gab es dennoch, kurz bevor in Konradshöhe für immer die Lichter ausgingen. Im September 2016 trafen sich hier – auf Initiative des Weltvorstands des Handelssektors des internationalen Gewerkschaftsbundes UNI Global Union, dem Ulrich Dalibor als Stellvertretender Vorsitzender angehörte – junge Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter aus drei Kontinenten. Eine Woche lang diskutierten die rund 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Asien, Amerika und Europa über die wichtigen Trends ihrer Branche wie Onlinehandel, Konzentrationsprozesse und Rationalisierung der Logistikketten.




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Exkurs: »Seminar für Nachwuchsführungskräfte der Arbeiterbewegung des 21. Jahrhunderts«

»Für mich war das eine großartige Chance zu sehen, wie andere Organisationen in vergleichbaren Situationen arbeiten«, sagte die 30jährige Norika aus Sri Lanka. In der Hauptstadt Colombo organisiert die junge Postangestellte gewerkschaftliche Bildungsveranstaltungen für Supermarktbeschäftigte – ehrenamtlich in ihrer Freizeit. »Ein Treffen mit einer so breiten Beteiligung aus so unterschiedlichen Erdteilen – das habe ich noch nicht erlebt«, so Ryan (29), der in New York als »Education organizer« in einem »Workers center« arbeitet und Einzelhandelsangestellte in Abendkursen über ihre Rechte aufklärt. Meist seien das prekär Beschäftigte, die nie Kontakt zu Gewerkschaften hatten, geschweige denn je in den Genuss von Tarifverträgen gekommen sind. »Verglichen damit geht es uns in Schweden großartig«, meinte Josefin (25), LKW-Fahrerin bei einem Lebensmittelgroßhändler aus Vasteras bei Stockholm. »Aber es hat mich daran erinnert, dass wir uns nicht zurücklehnen dürfen.«

(aus: junge Welt, 20. September 2016)
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Deutlich wurde: Auch in Zeiten von Internet und »Social media« braucht man reale und nicht nur virtuelle Diskussionen, braucht man über Chats und Mailinglisten hinaus Gesprächsrunden, bei denen man sich von Angesicht zu Angesicht gegenübersitzt. Und man braucht Orte, an denen man sich treffen kann. Völlig unverständlich war es für die Teilnehmenden aus aller Welt, dass ver.di beabsichtigte, die Jugendbildungsstätte Berlin-Konradshöhe zum Jahresende zu schließen.

Mit dem UNI Commerce-Jugendcamp im September 2016 zeigte sich zum letzten Mal exemplarisch, welche Möglichkeiten ver.di in Konradshöhe hatte und was die Gewerkschaft zu verspielen drohte. Doch die Entscheidung zur Schließung war längst gefallen und unumkehrbar.

Anfang 2017 hing ein Transparent vor dem Grundstück der mittlerweile geschlossenen Jugendbildungsstätte. Auf den ersten Blick sah es aus wie die Werbeplane eines Bauträgers. Aber noch wurden hier, in der Stößerstraße 18 in Berlin-Konradshöhe, keine Luxuswohnungen errichtet. »Hier verbauen wir uns unsere Zukunft« stand darauf, und statt Bauherren waren »Ab-Bauherren« darauf verzeichnet: Frank Bsirske, Frank Werneke, Christoph Meister – alle drei Mitglieder im ver.di-Bundesvorstand. Als »Generalunternehmer« firmierte die Immobilien- und Vermögensverwaltung von ver.di (IVG/VVG).





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Mit dem UNI Commerce-Jugendcamp im September 2016 zeigte sich zum letzten Mal exemplarisch, welche Möglichkeiten ver.di in Konradshöhe hatte und zu verspielen drohte. Doch die Entscheidung zur Schließung war längst gefallen.

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Nach 56 Jahren hatte die ver.di-Spitze – auf dem scheinbar unpolitischen, jedenfalls aber undemokratischen Umweg einer »unternehmerischen Entscheidung« der eigenen Immobilientochter – beschlossen, die gewerkschaftliche Jugendbildungsstätte in Konradshöhe zu schließen. Nicht, weil es dort kein Interesse mehr an politischer Bildungsarbeit für junge Leute gab. Sondern weil man angesichts sinkender Mitgliederzahlen und Beitragseinnahmen sowie härter werdender Arbeitskämpfe Geld brauchte. Und wie überall in Berlin explodierten in Konradshöhe die Grundstückspreise. Das direkt am Havelufer gelegene rund 5000 Quadratmeter große Areal gilt als Filetstück, auf dem hochpreisige Eigentumswohnungen entstehen könnten, wie sie im »Luftkurort« Konradshöhe, zwischen Tegeler Forst, Tegeler See und Oberhavel seit ein paar Jahren überall gebaut werden.





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»Das Veräußerungspotential des von ver.di zur Verfügung gestellten Standortes in traumhafter Lage mit Blick auf die Havel« hing »als Damoklesschwert über der Bildungsstätte«, sagt Peter Bohl, Leiter der Bildungsstätte von 2002 bis 2008. »Konradshöhe war mit Gründung der ver.di zu ›Tafelsilber‹ geworden ...«

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Erinnern wir uns: 65.000 DM hatte die DAG 1957 für das Grundstück bezahlt. Heute kann die ver.di-Vermögensverwaltung bei einem Verkauf ein Vielfaches dieses Preises erzielen. Von bis zu elf Millionen Euro war gerüchteweise die Rede – eine Zahl, die die Pressestelle des Bundesvorstands auf Nachfrage nicht kommentieren wollte und die trotz expandierender Immobilienblase übertrieben sein dürfte.

Angesichts der verlockenden Aussichten, das ehemalige DAG-Grundstück zu versilbern, stießen alle gewerkschafts- und jugendpolitischen Argumente der Trägervereins und seiner Unterstützer und Unterstützerinnen auf taube Ohren.

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 »ver.di ließ die ver.di-Jugendbildungsstätte fallen wie eine heiße Kartoffel«

Uli Dalibor, ehemaliger Bundesfachgruppenleiter Einzelhandel bei ver.di, erinnert sich:

»Der tatsächlich letzte Vereinsvorstand der ›ver.di JugendBildungsstätte Berlin – Konradshöhe e.V.‹ war angetreten. Natürlich um den letzten Strohhalm zu suchen, um Konradshöhe zu retten aber auch, um – wenn alle Stricke reißen sollten – den Verein wenigstens ordentlich abzuwickeln und diesen letzten Schritt nicht einem amtlich bestellten Liquidator zu überlassen. Mit Hilfe der Geschäftsführerin gelang das sicher vorbildlich. Die historischen Unterlagen wurden der Friedrich-Ebert-Stiftung übergeben, Die vielen Gebrauchs-Materialien vom PC, über Video-Kameras bis hin zur Dunstabzugshaube aus der Küche und dem reichhaltigen Geschirr wurde befreundeten Jugendeinrichtungen, ja, auch der DGB-Jugendbildungsstätte Flecken-Zechlin, zur Verfügung gestellt. Der direkte Ansprechpartner der ver.di-Vermögensverwaltung machte seinen Job gegenüber dem Vereinsvorstand ordentlich und sachgerecht, ja sogar konstruktiv. Die Senatsjugendverwaltung von Berlin verdient großes Lob, hat sie doch alle Möglichkeiten erwogen, um wenigstens die ausgezeichnete Jugend-Arbeit zu erhalten. Leider erwiesen sich die ins Gespräch gebrachten Optionen nach intensiver Prüfung durch den Vereinsvorstand leider als nicht geeignet.

Beschämend war das Verhalten von ver.di-Bundesvorstand und ver.di-Landesbezirksleitung. Sie ließen die ver.di-Jugendbildungsstätte in Konradshöhe fallen wie eine heiße Kartoffel. Die KollegInnen die in Konradshöhe arbeiteten, bekamen keinerlei Unterstützung von ver.di – auch wenn der ver.di Landesbezirk in einer Presseerklärung das Gegenteil behauptete. Als TeilnehmerInnen aus Konradshöhe am Sitz des ver.di-Bundesvorstands gegen die Schließung protestierten, wurden sie angelogen, sie könnten ihre Arbeit an einem anderem Ort fortsetzen.«
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Die Arbeitsverhältnisse der verbliebenen zwölf Beschäftigten des Hauses wurden zum 31. März 2017 gekündigt. Arbeitsrechtlichen Beistand – wie es für Gewerkschaftsmitglieder Standard ist – gewährte ihnen ver.di nicht. Überhaupt schob der Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft dem »freien Träger« jede Verantwortung zu: »Bei dem Haus in Konradshöhe handelt es sich nicht um eine Bildungsstätte von ver.di, sondern um eine im Besitz der IVG/VVG befindliche Immobilie, die vermietet wurde«, hieß es dort auf Nachfrage. »Es handelt sich um Angestellte des Vereins, nicht von ver.di.«




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Dokumentiert:

Antwort der Pressestelle der ver.di-Bundesverwaltung vom 8. November 2016 auf unsere Fragen zur Schließung der Jugendbildungsstätte Berlin-Konradshöhe

Frage: Ist es richtig, dass die ver.di-Immoblienverwaltung den Mietvertrag für die jbs Konradshöhe zum 31.12.2016 gekündigt hat? Wenn ja: Aus welchen Gründen? Gab es eine Abwägung von Pro und Contra? Welches Gremium hat die Schließung beschlossen?

Antwort: 2011 wurde die Geschäftsführung des Vereins JBS Konradshöhe e.V. von der Vermögensverwaltung der ver.di GmbH über das Ergebnis einer wegen baulicher Mängel notwendigen technischen Bewertung unterrichtet. Die bauliche Situation der Immobilie wurde insgesamt mit interner und externer Expertise bewertet. Das Ergebnis: Notwendige Maßnahmen für einen dauerhaften Betrieb würden das Haus in seiner gesamten Struktur betreffen. Das wäre mit einem erheblichen finanziellen Aufwand verbunden. Es war daher klar, dass eine Verlängerung des Mietverhältnisses nicht über 2016 möglich sein würde.

Um dem Verein ausreichend Zeit für die Suche einer neuen Perspektive zu geben, wurden dringend notwendige Reparaturen durchgeführt, die den Betrieb für die folgenden fünf Jahre störungsfrei sicherstellen sollten.

2014 wurde die Geschäftsführung des Vereins an die vereinbarte Nutzung bis Ende 2016 erinnert. Beim Verein JBS Konradshöhe handelt es sich nicht um eine von ver.di betriebene Bildungsstätte, es besteht stattdessen ein Mietverhältnis zwischen der Immobilienverwaltungsgesellschaft und Vermögensverwaltungsgesellschaft von ver.di. - der Eigentümerin der Immobilie - und dem Verein JBS. Konradshöhe e.V.

Frage: Wie beurteilt der Bundesvorstand die Arbeit der Bildungsstätte? Um der Frage einen etwas aktuelleren Bezug zu geben: Erst im September fand in der jbs ein einwöchiges Seminar mit jungen Führungskräften (Betriebsräten, Vertrauensleuten, Gewerkschaftssekretären) der Handelssektion von UNI Global Union aus etwa 30 Ländern aus vier Kontinenten statt (...). Betrachtet ver.di so etwas als eine wichtige strategische Angelegenheit oder nicht? Werden solche Meetings künftig in privaten Tagungshotels abgehalten? Glaubt der Bundesvorstand, dass das funktioniert?

Antwort: Wir unterstützen die Arbeit des Vereins (…) und auch die neue Kooperation mit dem Jugend- und Kulturzentrum »Die Pumpe« der AWO, Landesverband Berlin, die ab April 2017 in Berlin-Mitte verabredet ist. Damit finden zwei Träger der Jugendbildung zueinander. Gruppen, Partner und Teamende des Vereins werden seit zwei Monaten auf die Fortführung der Seminare in den Seminarräumen der Pumpe hingewiesen. Vor diesem Hintergrund hat der Verein auch um eine Nutzungsverlängerung bis zum 01.04.2017 gebeten, was wir grundsätzlich ermöglichen.

Im Übrigen: ver.di selbst betreibt neun eigene Bildungszentren, darunter eine spezielle Jugendbildungsstätte in Naumburg (bei Kassel), wir haben in unseren Bildungszentren ausreichende Kapazitäten, es finden in unseren Bildungszentren regelmäßig internationale gewerkschaftliche Seminare und Treffen statt. Es gibt also keine Notwendigkeit, dazu in Tagungshotels auszuweichen.

Frage: Welche Kosten entstehen der Organisation jährlich für den Unterhalt der jbs Konradshöhe?

Antwort: ver.di unterstützt den Verein durch die Übernahme der Mietkosten. Eine entsprechende Zusage gilt ebenfalls für 2017. Zur Ausgestaltung der weiteren Kooperation finden derzeit Gespräche statt.

Frage: Kann man im Kontext des Berliner Immobilienmarktes die Arbeit der Bildungsstätte zu geringeren Kosten tatsächlich an anderer Stelle in der Stadt fortführen? Wenn ja: Wo?

Antwort: Darum geht es in diesem Fall nicht. Der Verein hat eine neue Adresse. s.o.

Frage: Es gibt einen Beschluss des Gewerkschaftsrates von 2002 zu Fortführung und Erhalt der jbs Konradshöhe. Gibt es jetzt einen Beschluss des Gremiums zur Schließung der Bildungsstätte? Wenn nicht: Kann dieser Beschluss nach Ansicht des Bundesvorstandes durch eine einfache Entscheidung der Immobilienverwaltung ohne demokratische Diskussion aufgehoben werden?

Antwort: Bei dem Haus in Konradshöhe handelt es sich nicht um eine Bildungsstätte von ver.di, sondern um eine im Besitz der IVG/VVG befindliche Immobilie,die vermietet wurde. Über die Beendigung des Mietverhältnisses hat der Aufsichtsrat der VVG entscheiden.

Frage: Was wird aus den Angestellten der jbs?

Antwort: Es handelt sich um Angestellte des Vereins, nicht von ver.di. Gleichwohl versuchen wir als Organisation zusammen mit dem Verein und den Beschäftigten neue Perspektiven zu finden. Welche Perspektiven sich für die Beschäftigten im Zusammenhang mit der neuen Kooperation ergeben, kann sicher der Vereinsvorstand beantworten.

Frage: Was für Pläne hat ver.di mit der Liegenschaft der jbs? Wird das Grundstück zum Höchstgebot verkauft? Ist dem Bundesvorstand bekannt, dass der bislang immer noch einigermaßen sozial gemischte Ortsteil Berlin Konradshöhe in den letzten Jahren unter einen starken Druck zur Errichtung privater Luxuseigentumswohnungen gekommen ist? Will ver.di eine solche Entwicklung jetzt auch noch begünstigen? Ist es im Sinne unserer gewerkschaftlichen Grundwerte, wenn auf dem Wassergrundstück in der Stößerstraße künftig keine sozial benachteiligten Jugendlichen mehr politische Bildung und Solidarität erfahren, sondern Nobelherbergen für Reiche errichtet werden? (...)

Antwort: Wir geben grundsätzlich keine Auskünfte über Vermögenswerte und die Verwendung von Liegenschaften.

Frage: Nach welchen Kriterien wird in der Organisation über die Fortführung bzw. Schließung von Bildungsstätten entschieden? Und wer entscheidet darüber - die Immobilienverwaltung, der Bundesvorstand oder der Gewerkschaftsrat?

Antwort: Im genannten Fall ging es nie um die Schließung einer ver.di-Bildungsstätte, sondern um das Organisieren einer neuen Wirkungsstätte für einen freien Träger. Die ist nun gefunden.
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