Nach dem Mauerfall: Die schwierigen 90er

III  Nach dem Mauerfall: Die schwierigen 90er


Im November 1989 fiel die Mauer. Deutschland-Ost und Deutschland-West wurden im Laufe des kommenden Jahres wieder eins – staatsrechtlich jedenfalls. Die gesellschaftliche Einigung brauchte mehr Zeit. Nirgendwo in Deutschland vollzog sich der Prozess aber so unmittelbar in allen Lebensbereichen wie in der 28 Jahre lang geteilten Stadt Berlin.

Das große Thema der neuen Zeit war für Konradshöhe die in den 1990ern grassierende Jugendarbeitslosigkeit. »Wir versuchten, dem Fatalismus und den Ohnmachtsgefühlen, unter denen viele junge Leute litten, etwas entgegenzusetzen«, erinnert sich Margit Hauck, die Nachfolgerin von Klaus Pankau, der wenige Wochen vor der »Wende« in den DGB –Landesbezirk gewechselt war. Margit Hauck, die heute bei ver.di Bildung + Beratung für bundesweite Seminare und Tagungen verantwortlich ist, war Anfang der 1980er noch während ihrer Studienzeit als Teamerin nach Konradshöhe gekommen und hat 1990 die Leitung der Bildungsstätte übernommen. Es ging ums Dranbleiben, ums Trotzdem-Versuchen, um das Nicht-Aufgeben, auch wenn man 80 erfolglose Bewerbungen verschickt hatte.




»Die Rahmenbedingungen hatten sich geändert, aber unsere Ziele nicht«, meint Margit Hauck. Es ging darum, »junge Menschen in ihrer Eigenständigkeit zu stärken, ihnen zu helfen, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen«. Dazu gehörten auch die Schulungen für Jugendvertreter oder die Jugendleiterausbildung. Spielerisch wurde etwa die Organisation von Konferenzen und Versammlungen geübt, und auf diese Weise grundlegendes demokratisches Handwerkszeug auszuprobieren.

Auch die Auseinandersetzung mit Rassismus und Rechtsextremismus nahm breiten Raum ein. Brandenburgische Jugendliche mit Bomberjacken und weißen Schnürsenkeln saßen plötzlich zusammen mit türkischen Schülerinnen und Schülern in der Bildungsstätte. »Das war nicht spannungsfrei, aber wir haben versucht, produktive Verunsicherungen auszulösen, Impulse zu setzen«, sagt Margit Hauck. Sie erzählt von einem Seminar, bei dem es um Migration und Identität ging: »Auf einmal rief einer dieser Jungs völlig entnervt: ›Ja, was ist denn jetzt eigentlich deutsch?‹ Als er angekommen war, wusste er das ganz genau und jetzt war das plötzlich nicht mehr so klar. Da dachte ich: Wow, das ist eine ganze Menge für vier Tage Seminar.«




Sichtbar traten in den 90ern politische und kulturelle Veränderungen hervor, die der Jugendbildungsarbeit und gewerkschaftlichen Tätigkeit nach der Jahrtausendwende enorme Probleme machen sollten. »Am Anfang gab es noch verbreitet Vertrauensleute, gewerkschaftliche Betriebsgruppen, sogar Betriebsjugendgruppen und Jugendvertretungen, die mit uns Wochenendfahrten unternahmen und ganz selbstverständlich Mitgliederwerbung betrieben«, berichtet Margit Hauck. »Wir hatten immer das komplette erste Ausbildungsjahr von Karstadt am Hermannplatz bei uns zum Seminar. Und nicht selten waren die dann nach einer Wochenendfahrt zu hundert Prozent in der Gewerkschaft organisiert.«


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»Anfang der 90er gab es noch viele junge Leute, die sich individuell für Seminare anmeldeten. Das gab es am Ende praktisch gar nicht mehr.« (Margit Hauck)

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Doch zunehmend wurde es merklich schwerer, junge Leute für die Gewerkschaften zu gewinnen. »Hauptsache Arbeit« wurde zum geflügelten Wort. Bildungsurlaub, die große Reformerrungenschaft der 70er Jahre, wurde nun deutlich weniger in Anspruch genommen. »Anfang der 90er gab es noch viele junge Leute, die sich individuell für Seminare anmeldeten. Das gab am Ende praktisch gar nicht mehr.« Was tun? »Wir fingen an, stärker mit Schulen und Oberstufenzentren zu kooperieren, schwärmten aus in die Berufsschulen. So schafften wir es, dass ganze Klassen und Jahrgänge zu unseren Veranstaltungen kamen.«

Schwieriger wurde auch die Finanzierung. Der »Sonderplan Berlin« – eine Zusatzförderung aus dem Bundesjugendplan – wurde nach der Vereinigung ersatzlos gestrichen. Mitte der 1990er nahmen die vier DGB-Gewerkschaften ÖTV, HBV, IG Medien und die bislang eigenständige DAG angesichts sinkender Mitgliederzahlen Kurs auf die Fusion. Jede der Ursprungsgewerkschaften brachte ihre eigenen Bildungsstätten mit, und es war klar, dass es Schließungen geben würde und geben musste.